Zitate aus dem deutschen Nachrichtenmagazin “DER SPIEGEL”
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<In keinem anderen Land machen sich die Sozialdemokraten gerade so demonstrativ locker, wenn es um eine mögliche Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten geht, wie in Dänemark. Es könnte sie sogar zurück an die Macht führen. Wenn in zwei Jahren gewählt wird, will Mette Frederiksen, 39, seit 2015 Vorsitzende der dänischen Sozialdemokraten, nicht ausschließen, mit der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei an die Regierung zu kommen.
Die Volkspartei, das einstige Schmuddelkind der dänischen Politik, positioniert sich erfolgreich als Stimme der anständigen, pflichtbewussten Leute. Ihre rigide Ausländerpolitik verknüpft sie mit einer Sozialagenda: für humanere Bedingungen am Arbeitsplatz und niedrigere Steuern für Geringverdiener, gegen eine Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters. Eigentlich klassische Programmpunkte von Traditionssozis.
Natürlich weiß Frederiksen, dass viele im linken Spektrum ein Herz für Flüchtlinge haben und ihre Nähe zur Volkspartei kritisch sehen. Deshalb nimmt sie für sich in Anspruch, weder für noch gegen Zuwanderer zu sein, sondern lediglich für eine realistische Politik einzutreten: „In Dänemark hat man vom ersten Tag an Anspruch auf beinahe sämtliche Leistungen. Es ist ein schwieriges System, wenn viele Leute ins Land kommen.“ Ihr großes Anliegen ist der dänische Zusammenhalt.
Ein Schlüsselsatz für Frederikens Strategie ist ihre Aussage: „Wenn es den Sozialdemokraten nicht gelingt, diejenigen abzuholen, die von den Herausforderungen der Zukunft und von den Veränderungen unserer Gesellschaft am stärksten betroffen sind, dann sind wir keine richtige sozialdemokratische Partei.“ Das geht, so selbstbewusst ist sie, auch an die Adresse der anderen Sozialdemokraten in Europa.>
DER SPIEGEL 38/2017, S. 103. Vorwärts! Nur wohin? Europa: Die Sozialdemokraten stecken in der Krise. Wenn sie wieder Wähler gewinnen wollen, müssen sie sich neu erfinden. (…)
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<Sloterdijk: (…)Überhaupt müssen wir uns heute vor einer Überstrapazierung des Universalismus der Aufklärung hüten. Die Rechtspflege und die sozialen Solidarsysteme lassen sich bisher nur im nationalen Rahmen erhalten und ausbauen. Nichtmitgliedern einen unbeschränkten Zutritt zu gestatten, mutet da wie eine Geste der Selbstzerstörung an. Wie viel Fremdheit verträgt eine Kultur, die an einer gewissen Selbstähnlichkeit festzuhalten interessiert ist? Es gibt immer noch eine Fraktion von Linken oder Linksanarchisten beziehungsweise politischen Masochisten, die jeden Hinweis auf so etwas wie Nation oder nationales Interesse, Identität und Tradition für ein Verbrechen an der Menschheit halten.
(…)
Spiegel: Sie haben sich als linkskonservativ beschrieben, nachdem man ihnen wegen solcher Warnungen vor Selbstzerstörung während der Migrationsdebatte einen Rechtsruck unterstellt hatte. Was ist darunter zu verstehen?
Sloterdijk: Die linken Elemente verstehen sich von selbst. Wer wie ich von 1968 herkommt und im Klima der Kritischen Theorie sozialisiert worden ist, kann keine anderen als emanzipatorische oder reformatorische Prinzipien in sich tragen. Doch neben diesen hat sich bei mir ein Zuwachs an konservativen Elementen entwickelt. (…)
Spiegel: Und der prozessuale Konservatismus ist der Ihre, darf man annehmen?
Sloterdijk: Der prozessuale oder historische Konservatismus beruht auf der Einsicht, dass zivilisatorische Errungenschaften verloren werden können. Es gibt keine Garantie, dass die gleiche Welt in der nächsten Generation weiterbesteht. Das gilt auch für Frieden, Wohlstand und den Schutz des Sozialstaats. Man könnte vielleicht damit leben, dass es in der nächsten Generation keine großen Erzähler oder Künstler mehr gibt oder keine großen Komponisten. Dramatisch wird es, wenn der Rechtsstaat, der Sozialstaat und die Wohnkultur gefährdet werden. Das Letztere nenne ich nicht willkürlich: Von der Behausung hängt das Grundgefühl des In-der-Welt-Seins von Menschen ganz wesentlich ab. Wenn das Bewusstsein der Verlierbarkeit von Zivilisationen den Menschen durchdrungen hat, erledigt sich ein Teil des frivolen Universalismus von selbst.
Spiegel: Das hat sich in der Migrationskrise gezeigt?
Sloterdijk: Man kann universalistische Element sehr wohl auch von einem konservativen Standpunkt aus verteidigen. Der frivole Universalismus aber setzt bedeutende Errungenschaften aufs Spiel (…)>
DER SPIEGEL „26/2017, S. 122/123. Die hohe Kunst der Asozialität. Spiegel-Gespräch Peter Sloterdijk über die linken Elemente, die sich bei ihm von selbst verstehen, über den frivolen Universalismus und das konservative Denken
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<Sein erster Roman beginnt also so: Eine Familie betritt ein sehr exklusives Hotel in London. Der jüngste Sohn ist gerade mal acht. Sein älterer Bruder ist dabei, eine Cousine, seine Tante, seine Mutter. Draußen regnet es. Die Familie hat einen Flug aus Singapur hinter sich, eine U-Bahn-Fahrt aus Heathrow und außerdem neun Blocks Fußmarsch. Die Lancaster-Suite ist für sie reserviert. Aber der Hotelmanager sieht nur einen Haufen klatschnasser Chinesen, von denen er sich beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass sie etwas in seiner schönen Suite verloren haben könnten. Mit Grauen malt er sich die Reaktion aus, wenn diese Leute am nächsten Morgen auch noch beim Frühstück erscheinen. Er spricht extra langsam, als er vorgibt, die Reservierung – leider, leider – nicht finden zu können. Na sowas. Aber vielleicht gibt es ja noch irgendwo in Chinatown ein freies Zimmer für die Sippe.
(…)
Inzwischen ist es sechs Jahre her, dass in den USA „Crazy Rich Asians“ erschien – jener Roman, der damit beginnt, wie die klatschnasse Familie das Hotel in London betritt und dort kein Zimmer bekommt.
Weiter geht es übrigens so: Nicht mal eine Stunde nach der Abfuhr durch den Manager betritt die Familie die Lobby ein zweites Mal. In der Zwischenzeit hat sie einige Telefonanrufe getätigt. Ein einflussreicher Verwandter zu Hause in Singapur hat seine Kontakte spielen lassen, ein Geschäft wurde in die Wege geleitet. Die Suite ist jetzt ihre. Aber nicht nur. Denn die Familie ist nun im Besitz des Hotels. „Ich muss Sie jetzt leider bitten“, lautet der letzte Satz des Kapitels, den die Tante des kleinen Jungen zu dem Hotelmanager spricht, „unser Haus umgehend zu verlassen.“>
DER SPIEGEL Nr.30/20.7.2019, S. 110. Einer unter Millionen. Globalisierung Kevin Kwan, selbst in der Oberschicht Singapurs aufgewachsen, porträtiert in „Crazy Rich Asians“ ein Milieu, das, obwohl es ökonomisch zunehmend den Ton angibt, kulturell bislang übersehen wurde: die Superreichen des Fernen Ostens. Von Maren Keller
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