Philosophische Reflexionen zwischendurch:
Erkenntnis als Frage-und-Antwort-Spiel (Dennet)
<...Es ist sehr schwierig herauszufinden, welches die richtigen Fragen sind und sie dann auch zu stellen. Wenn man herausgefunden hat, welches die richtigen Fragen sind, dann ist es vielleicht die Aufgabe der Wissenschaft, jene Fragen zu beantworten.
Sie sprechen über die richtigen und guten Fragen. Welches sind die guten Fragen? Wer entscheidet über die “Richtigkeit” oder die “Güte” der Fragen?
Ich glaube, dass sich so etwas wie ein Konsensus herausbildet, wenn man die richtigen Fragen findet. Wenn wir die richtigen Fragen gefunden haben, dann beginnen die Antworten zu passen. Manchmal haben wir ein Puzzle vor uns, eine sehr schwierige, widerspenstige Frage; jemand schafft den Durchbruch, und alle Stücke beginnen ihren Platz zu finden. Dann wissen wir, dass wir die richtigen Fragen stellen. Wir wissen, dass wir gute Fragen stellen, wenn wir gute Antworten bekommen.
Woher wissen wir, daß die Antworten gut sind?
Sie erzeugen eine Menge bewiesener Vorhersagen und eine Menge neuer Fragen, die wiederum gute Antworten hervorrufen.> (S.30)
Aus der Zeitschrift “Information Philosophie” 2/2001, S.30 In der Rubrik “Interview” der Artikel “Ist das Bewusstsein erklärt? Daniel Dennett im Gespräch mit János Boros” (S.30-34)
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Die Welt des Wissens als organisches Ganzes (Mead)
<Wie oben bereits angedeutet wurde, ist das notwendige Ergebnis eines bewußten Fortschreitens zur Lösung unumgänglicher Probleme in der menschlichen Erfahrung das Einnehmen einer Position auf halbem Weg zwischen den alten Allgemeinbegriffen, deren Gültigkeit verworfen wird, und einem neuen Allgemeinbegriff, der noch nicht in Erscheinung getreten ist. Und dies ist ein Ergebnis, welches implizit die gesamte Welt des Wissens betrifft; denn diese Welt ist ein organisches Ganzes, in dem kein wesentlicher Teil ohne Auswirkungen auf den gesamten Rest verändert werden kann. Wer also die Haltung einnimmt, ein unumgängliches Problem zu lösen, läßt sich auf die Bereitschaft ein, die ihm bekannte Welt vollständig außer Kraft zu setzen. Ich bin bereit zuzugeben, daß selbst in einem Zeitalter bewußten Fortschritts eine solche Haltung nicht von sehr vielen ausdrücklich eingenommen wird, die in wissenschaftlichem Geist Probleme rechtschaffen in Angriff nehmen. Sie machen nicht nur zahlreiche Vorbehalte auf Gebieten, die sie einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht für zugänglich erachten, sondern es gelingt ihnen auch nicht, die ihnen bekannte Welt als ein organisches Ganzes anzuerkennen, welches in wesentlichen Teilen nicht ohne eine Veränderung in toto verändert werden kann. Auf dem Gebiet jedoch, wo sie die wissenschaftliche Methode tatsächlich anwenden, sind sie bereit, mit allem bisher für objektiv gültig Erachteten cartesianisch reinen Tisch zu machen. Wenn sie sich dieser Methode aber einmal verschrieben haben, wäre es inkonsistent, wenn sie zögerten, sie weiterhin anzuwenden, sobald sie erkennen, daß ihr Teilgebiet Auswirkungen auf das Ganze hat.> (S. 67)
Aus George H. Mead - Gesammelte Aufsätze, Band 1, herausgegeben von Hans Joas, Suhrkamp stw 678, Ffm 1987. Darin der Artikel “Vorschläge zu einer Theorie der philosophischen Disziplinen, S. 60-80. Ursprünglich erschienen in: Philosophical Review 9 (1900), S. 1-17
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Wissenschaftliche Forschung als Entdeckungsreise in unbekanntes Terrain (Bateson)
<Es liegt in der Natur der Sache, daß ein Forscher erst dann weiß, was er untersucht, wenn er es erforscht hat. Er trägt keinen Baedeker in der Tasche, keinen Führer, der ihm sagt, welche Kirchen er besichtigen und in welchen Hotels er wohnen soll. Er verfügt nur über das zweifelhafte Wissen anderer, die den Weg vor ihm gegangen sind. Ohne Zweifel führen tiefere Schichten des Geistes den Wissenschaftler oder Künstler zu Erfahrungen und Gedanken, die irgendwie für seine Probleme relevant sind, und diese Führung scheint schon zu wirken, lange bevor der Wissenschaftler irgendeine bewußte Kenntnis seiner Ziele hat. Aber wie das abläuft, wissen wir nicht.>
Aus Gregory Bateson - Ökologie des Geistes (engl. “Steps in an Ecology of Mind”, 1972), Suhrkamp stw 571, Ffm 1985, S. 16
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Der forschende Geist selber ist zunächst eine dunkle Landschaft, in der er suchen soll (Proust)
<Ich setze die Tasse nieder und wende mich meinem Geiste zu. Er muß die Wahrheit finden. Doch wie? Eine schwere Ungewißheit tritt ein, so oft der Geist sich überfordert fühlt, wenn er, der Forscher, zugleich die dunkle Landschaft ist, in der er suchen soll und wo das ganze Gepäck, das er mitschleppt, keinen Wert für ihn hat. Suchen? Nicht nur das: Schaffen. Er steht vor einem Etwas, das noch nicht ist, und das doch nur er in seiner Wirklichkeit erfassen und dann in sein eigenes Licht rücken kann.>
Aus Marcel Proust - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Band 1 in Swanns Welt, Suhrkamp st 3209, Ffm 2000, S. 64
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