Warum war Einstein so schlau?

In dem Forum “gutefrage.net” frug jemand:

“Wie konnte Albert Einstein so sehr SCHLAU werden?” Und dann als Unterzeile: “Die Frage klingt bischen komisch aber intressiert micht, wie konnte er so schlau sein ......”

Darauf dann kurz gefaßt folgende Antworten: daß er in Mathe und Physik in der Schule schlechte Noten hatte. Die Gene. Er war Autist. Hinter ihm soll eine sehr kluge und inspirierende Frau gestanden haben. Er hat schon in jungen Jahren sein geistiges Potential entwickelt. Er hatte eine göttliche Eingebung und wurde zum Genie. Er hatte einen IQ von 140.

Man merkt also bei diesen Antworten, daß sie höchstens nur sehr peripher den Sachverhalt treffen und teilweise das übliche Geschwätz darstellen.. Insbesondere ist die soziologische Dimension völlig ausgeblendet. Darum habe ich mal eine eigene Darlegung versucht, die dann dergestalt aussah:

 

Ich sehe bei Einstein folgende Faktoren, außer seiner sehr gut entwickelten Neugier und Initiative-Fähigkeit, d.h. seiner psychischen Stärke, die er offenbar durch eine gelungene Erziehung mitbekommen hat.

1. Sein Vater und sein Onkel hatten eine kleine Elektrofabrik und der junge Einstein hatte sich vermutlich in diesem Rahmen für physikalisch-technische Probleme interessiert. Mit 16 schrieb er seine erste physikalische Abhandlung.

2. Er hatte ein gebildetes jüdisches Elternhaus. Zu dieser Zeit legten viele Juden im deutschsprachigen Raum Wert darauf, mit Hilfe von Bildung besondere, außergewöhnliche Leistungen zu vollbringen. Deswegen sind viele bedeutende deutschsprachige Philosophen, Mathematiker, Physiker und viele andere Geistesgrößen seit der Jahrhundertwende jüdischer Herkunft, d.h. entstammend aus dem jüdischen Bildungsbürgertum, gewesen.

3. Er hatte ein regelmäßiges geistiges Austauschverhältnis mit einem Philosophie-Studenten und einem Mathematiker während seiner Zeit in Bern bis 1904 (“Akademie Olympia”).

4. Er hatte ein intensives mathematisch-physikalisches Austauschverhältnis mit seiner ersten Frau, Mileva Maric, eine junge Serbin, die ebenfalls Physik studierte. Ich denke, daß dieser geistige Austausch mit ihr nicht hoch genug angesetzt werden kann für die allmähliche Ausformulierung der speziellen Relativitätstheorie. (Es handelte sich leider um eine ziemlich tragische Geschichte für Mileva, die von der idealisierenden Einstein-Biografie gerne unter den Teppich gekehrt wird. Außerdem paßt diese Geschichte nicht zu dem heroischen Bild vom großen einsamen Genie.)

 

Soweit also meine eigene Antwort.

Was hier noch ergänzt werden muß ist, daß meines Ermessens um die Jahrhundertwende (ab 1880) eine kulturell und geistig besonders angeregte, optimistische und fortschrittsgläubige Epoche existiert haben muß. Man sieht das nicht nur in einer blühenden Wissenschaft und Philosophie sondern beispielsweise auch in der damaligen Architektur (Jugendstil, Städtebau als Gesamtkunstwerk), der Kunst von Expressionismus und Impressionismus und den sprießenden Phantasien von der Zukunft einer befreiten Gesellschaft. Auch erste Reformpädagogen treten auf.  Dieser Optimismus hat durch die 2 Weltkriege, Nationalismus, Faschismus, Nazi-Totalitarismus und kommunistischer Totalitarismus einen herben Rückschlag erlitten. Der gegenwärtige bourgeoise Ökonomismus ist ebenfalls kulturfeindlich, sodaß man mittlerweile eigentlich mit Wehmut an die gute alte bürgerliche Zeit der Jahrhundertwende zurückdenken muß (sofern man ein entsprechendes Geschichtsinteresse hat). - Damit will ich eigentlich sagen, daß die jüdischen Bildungsbürger mit ihren hohen geistigen Interessen gleichzeitig eine besonders aufnahmebereite Epoche (ab der Emanzipation der Juden ca. 1850-1870) vorfanden, wie sie ihresgleichen sucht. - Auch das gehört meiner Ansicht nach zur Beantwortung der Frage, warum Einstein “so sehr schlau” werden konnte.

 

________________________________________________________

 

Zum letzteren - und seiner grausamen Tragik - noch als Beispiel aus der Zeit um die Jahrhundertwende bis 1912 in Marburg die beiden außergewöhnlich hervorragenden deutschen Philosophen jüdischer Herkunft Hermann Cohen und Ernst Cassirer. Dazu Auszüge aus einem Artikel der Zeitschrift “Information Philosophie”:

...Steven Schwarzschild hat darauf hingewiesen, dass man  in Cohens Philosophie auch Analogien zu seinem Lebensprojekt der Integration in die deutsche Gesellschaft sehen kann, einer Integration nämlich, an der am Ende die Aufnahme in die deutsche Gesellschaft steht. Eine Bemühung, die scheitert: von seinen akademischen Kollegen wurde Cohen zunehmend isoliert, sowohl aus persönlichen Gründen, wie auch als Folge des zunehmenden universitären Antisemitismus. Und Cohens gewünschter “Kronprinz”, Ernst Cassirer, war schon bei seiner Habilitation an der Feindseligkeit der Marburger Professoren gescheitert. Die philosophische Fakultät ignorierte den Wunsch Cohens nach einem Ruf an Cassirer und plante stattdessen, einen jungen Experimentalpsychologen zu berufen und damit gleichzeitig das Ordinariat für Philosophie in eine gänzlich andere Richtung zu lenken. Diese Kontroverse zog Kreise weit über Marburg hinaus, mit Studentendemonstrationen für und gegen Cohen, Artikeln in nationalen Zeitschriften und einer Petition für Cassirer, unterzeichnet von 106 Professoren, unter ihnen einige der angesehensten ihrer Zeit. Als die Entscheidung dann gegen Cassirer ausfiel, war Cohen schwer getroffen und zog sich mehr und mehr aus der akademischen Welt zurück. Er verließ zusammen mit  Ernst Cassirer die Kant-Gesellschaft, als deren Vorsitzender sich nicht von einem nationalistischen und antisemitischen Artikel in den Kant-Studien distanzieren wollte.

Aus der Zeitschrift “Information Philosophie” 4/2000, S. 108. Rubrik “Forschung-Trends-Kontroversen”, Unterrubrik “Neukantianismus” der Artikel “Hermann Cohen” (S.106-109). Der Artikel bezieht sich auf den Essay von Philipp Blom: “Hermann Cohen - Geist und Leben. in: Jüdischer Almanach 1998, Jüdischer Verlag, Berlin.