Real-Schlaraffenland

26.08.09

Schlaraffenland – zum Zweiten – die Real-Schlaraffen

 

Ich versuche die Gedanken, die ich hatte, als ich das erste Mal, auf dieses Thema stieß (2006), etwas weiter auszubauen

 

Wie schon damals gesagt: erstens handelt es sich um die meines Wissens einzige Utopie, die tatsächlich für relativ weite Kreise des europäischen Volksraums (und so weiter) verwirklicht wurde. Also nicht der Sozialismus-Kommunismus wurde verwirklicht, sondern das Schlaraffenland. Und zwar nach dem 2. Weltkrieg in immer größerem Ausmaß. Auch die Kommunisten versuchten diese Ursehnsucht des Volkes zu befriedigen. Da dies aber der Westen wesentlich besser konnte, siegte letztlich der Westen (behaupte ich jetzt mal dreist).

 

Man kann also die bestehende moderne Industrie-Gesellschaft nicht nur (neutral) als 'Ökonomismus' (oder von mir aus auch (negativ) als 'Kapitalismus') betitulieren, sondern auch (positiv) als 'Schlaraffenland'. Das ist das Land, wo Milch & Honig fließt (wer interessiert sich übrigens heutzutage noch besonders für Milch und/oder Honig?) und wo einem die gebratenen Hähnchen und Tauben in den Mund fliegen. (Wer interessiert sich übrigens noch für gebratene Hähnchen? - Tauben vielleicht schon eher). Durch Reisberge muß man sich fressen, um in das Gelobte Land hineinzukommen. (Wer interessiert sich eigentlich heutzutage noch für Reis ohne Beilage?). Wir leben folglich zweifelsohne im Schlaraffenland einer höheren Dimension.

 

Nicht ganz uninteressant ist weiterhin die Vorstellung vom faulen Herumliegen den ganzen Tag. In der Tat ist dies ein typisches Volksideal von 'Urlaub' und 'Freizeit'. Andererseits muß es ja Leistungträger geben, die den ganzen gebratenen Kram samt Faulbetten, Urlaub, Medizin, Fahrzeugen usw. auch arbeitsmäßig ermöglichen. Eigentlich sollten beide Identitäten (vom Leistungträger & vom Genießer) in einer Person einträchtig vereint sein. Doch real existieren da allerlei Einseitigkeiten in merkwürdiger Symbiose mit jenen Leistungsträgern.

 

Beispielsweise ist ein Grundphänomen der Schlaraffenland-Gesellschaft die Verwöhnung  vieler Kinder. Viele Leistungs-Schlaraffen meinen, sie täten ihren Kindern einen großen Gefallen, wenn sie ihre Kinder wie flotte Kellner und Putzfrauen bedienten und dann diese Kinder auch noch vor allen nur denkbaren Unbillen bewahrten. Die ganze Schlaraffengesellschaft ist so organisiert, daß Kinder vor Gefahren bewahrt und beschützt werden sollen. Kaum noch Kinder sieht man frei herumlaufen (viel zu gefährlich!), keine Kinder sieht man noch frei im Wald ihre Spiele spielen (viel zu gefährlich!), usw. usw.  Das Ergebnis ist Fettleibigkeit vieler Kinder, Konzentration auf's Fernsehen  und immer mehr Fälle von Lebensuntüchtigkeit und Unentwickeltheit, die psychiatrisch diagnostiziert und behandelt werden. (Ergänzend dazu auch noch “ein spezieller Narzissmus”)

 

Hinzu kommt, daß die Schlaraffen sich ihre äußere Welt immer einfacher  und bequemer gestalten wollen. Schlaraffen lieben bequeme Autos, entsprechend bequeme Autostraßen. Schlaraffen können dementsprechend durchaus auf äußere Lebensraum-Ästhetik verzichten, wenn es ihrer Bequemlichkeit entspricht. Genauso denken sie nicht daran, ihre Häuser ästhetisch der Landschaft anzupassen. Sie wollen schnelle Ergebnisse mit Beton und ohne viel ästhetisches Nachdenken - auch wenn diese noch so sehr die einzige Welt, die wir haben, verschandeln.

 

Überhaupt wollen Schlaraffen nicht viel nachdenken. Deshalb überlassen sie die Politik und das Denken gerne anderen Schlaraffen, die auch nicht viel weiter denken als sie selber, sondern lediglich konsequent ihre Schlaraffen-Vorstellungen verwirklichen sollen.

 

 

Wie soll  ich mich selber zu dieser unüberwindlichen Weltwirklichkeit stellen?

 

Ich denke, sobald man die heutigen 100.000 Konsumgüter-Möglichkeiten (z.B. Wein aus Chile, Papier aus Schweden, Computer aus China, Musik aus der Türkei, Autos aus Fernost, Kaffee aus Brasilien, Reise nach Bali) möglichst voll ausnutzt, gehört man zum Schlaraffenland, auch wenn man das eine oder andere der dadurch entstehenden Probleme (durch Umweltversauung, Lebensweltzerstörung) erkennt und kritisiert.

 

Das eigentliche politische Problem (wie offiziell-staatlicherseits gerne behauptet oder durch Medien suggeriert) besteht jedoch nicht in der kleinen radikalen Minderheit, die kritikfähig ist und durchaus bereit wäre, tatsächlich echte 'Opfer' zu bringen (d.h. sich gemeinsam mit allen anderen in eine frühere ökonomische Situation zurückzubeamen oder in eine edle, intelligente, alternative Welt vorwärts zu beamen), sondern in der Mehrheit, die der schlaraffenartigen Bequemlichkeit, die sich immer höher entwickelt, frönt. Dies ist ein absolut fester Beton-Block an gesellschaftlicher Realität, an dem sich jeder die Zähne ausbeißt, der sich kritisch daran versucht. Mit diesem Betonblock von Schlaraffen-Realität rechnen – zu Recht – die bestehenden Schlaraffen-Politiker – sie wurden deshalb ja auch gewählt – und werden  wieder und wieder gewählt.

 

Gut, wie soll ich mich aber selber dazu stellen?

 

Warum soll sich jemand unglücklich machen und gegen etwas anrennen, was unentrinnbar ist! - Das ist doch eine berechtigte Frage - Oder nicht?

Ich selber will  ja auch nur zum Teil kritisch sein. Ich will tatsächlich einerseits den gigantischen Konsum (z.B. an Lebensmitteln, Werkzeugen, Baumaterialien, Farben, technischen Geräten, Fahrzeugen, Reisen und und und). Wenn auch nicht ganz so extrem wie andere: ich lege mehr Wert auf freie Zeit. Aber da gibt es sicherlich jede Menge Differenzen. Also das ist nicht der Punkt. Ich nehme schon gehörig Teil an der gigantischen Schlaraffen-Welt.

 

So. Kritik ist also (zum großen Teil) Scheiße? Also sollte ich Aufgehen im Komfort der Schlaraffenwelt, mich  davontragen lassen – wie alle anderen auch, die sich in der Schlaraffenwelt uteral aufgehoben fühlen?

 

Das wird sicherlich das Beste sein! - und das werde ich in Zukunft erst recht (wie in der Vergangenheit teilweise schon) auch tun - bis auf Ausnahmen der kritischen Stellungnahme.

 

In other words: Nach uns the sintflood! Es sei denn, die Mehrheit  sieht ein, daß es das Leben gefühlsunwert macht, wenn man die schönsten Weltgegenden (aber auch die weniger schönen) einfach plattmacht und verhunzt. - Und überhaupt! (um einmal meinen früheren Freund Jürgen zu zitieren).