11.11.11
Merkwürdigkeiten des heutigen Sozial- bzw. Rechtsstaats
Es hat sich eingebürgert, daß unter 'Sozialstaat' bzw. ‘Rechtsstaat’ nicht notwendigerweise Gerechtigkeit oder die Hilfe für wirklich Bedürftige verstanden wird, sondern daß die Besser Gestellten (und ihre Vertreter: Richter, Politiker usw.) von oben herunter gnädig die da unten (oft irgendwelche kuriosen Leute, wie beispielsweise den gewissenlosen Kindermörder Gäfgen) fördern. Beim Sozialstaat: Möglichst nicht auf Staatskosten, sondern Andere sollen dafür herhalten. Vor allem hat man mittlerweile höheren Orts erkannt, daß brave Vermieter, die vermieten wollen, um ihre Aufwendungen für ihr sauer erarbeitetes Haus zu dämpfen, geeignete Opfer für ihre spezifischen Sozialstaatsvorstellungen sind. Sie müssen, aufgrund der bestehenden Mietgesetze, wenn sie vermieten, mit einer Büchse der Pandora rechnen: Kündigen dürfen sie selber nur in extremen Ausnahmefällen. Lediglich Mieter dürfen ohne Weiteres kündigen. Schon allein diese Asymmetrie ist eine Perversität bzgl. Gerechtigkeit! Wenn wenigstens eine Art Zerrüttungsprinzip gelten würde: Kündigung aufgrund von Zerrüttung der Beziehung zwischen Mieter und Vermieter: Von mir aus mit einer Kündigungsfrist von einem halben Jahr bei einem neuen Mietverhältnis – und von einem Jahr bei einem schon länger bestehenden Mietverhältnis (> 2 Jahre). Denn wenn ein Vermieter an den Falschen geraten ist, kann ein antisozialer Mieter schädigen und abnerven ohne Ende und wird dabei von den Mietgesetzen gestützt und von den Gerichten geschützt. Der Hausbesitzer kann über sein Eigentum nicht mehr verfügen und hat praktisch keinerlei Sanktionsgewalt. Er steht da wie der Depp vom Dienst. Gerechtigkeit kann er kaum erwarten. In den meisten Fällen kriegt der Mieter (offenbar aufgrund von angeblicher Sozialstaatlichkeit – aber nicht von Gerechtigkeit) vor Gericht recht. So hat es sich der sog. 'Sozialstaat' leicht gemacht: Das Risiko für antisoziale Problemmieter trägt (oft jahrelang und weitestgehend ohnmächtig, folglich nervenaufreibend und nicht zuletzt an die psychische und/oder materielle Substanz gehend) der Vermieter. Anderenfalls nämlich müßte der Sozialstaat selber sich (per Sozialwohnungen bzw. Asozialensiedlungen) um diese problematischen Leute kümmern, aber das würde dann schließlich von seinem Geld abgehen (das ja viel besser bei den eigenen hohen Beamtengehältern, Dezernentenstellen, Abgeordnetendiäten, usw.) aufgehoben ist. Die Last der Problemfälle soll auf diese Weise privatisiert werden.
Anmerkung: Selbst wenn offiziellerweise an diesen unhaltbaren Zuständen was geändert werden soll, gibt es starke Widerstände, vor allem von seiten des “Deutschen Mieterbundes”, dessen Gegenwehr von seiten der Politk vermutlich durchaus gescheut wird.
Folgende Passage fand sich in der “MieterZeitung” (offizielles Organ des “Deutschen Mieterbund e.V.” Ausgabe 4/2011, August 2011, S. 6). Es ging um den “Deutschen Mietertag 2011 in Berlin” mit 450 Delegierten und 150 Gastdelegierten.
<Birgit Grundmann [Staatssekretärin im Bundesjustizministerium] sprach in ihrer Rede auch die geplanten Änderungen im Prozess- und Zwangsvollstreckungsrecht an, mit denen das sogenannte Mietnomadentum bekämpft werden soll und erntete damit Gelächter und Buhrufe der Delegierten. Das Justizministerium sehe hier Regelungsbedarf. Auf der Vermieterseite ständen eben nicht nur Profis, sondern auch viele kleine Vermieter, für die die Mietwohnung Vorsorge sei.>
Zu diesem Gelächter und den Buhrufen der Delegierten im eklatanten Widerspruch - freilich ohne diesen überhaupt vor den Delgierten zu bedenken - erklärte der mit 97,6% wiedergewählte Präsident des Deutschen Mieterbundes, Dr. Franz-Georg Rips, vor eben diesen Delegierten: < Der Mieterbund sehe sich in der Verantwortung, eine Rechtsordnung, vor allem auch ein Mietrecht sicherzustellen, das gerecht und ausgewogen sei.> (a.a.O. S. 7)
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Auch ist zu sagen, daß heutzutage in der Erziehung negative narzißtische Charaktere, mit einem ordentlichen Schuß Psychopathie versehen, unter dem Deckmantel der freundlichen Fürsorge geradezu gezüchtet werden. Dahinter steckt eine Laissez-Faire-Haltung, eine Verwöhnungshaltung, die meines Ermessens ihren höheren sozialen Sinn hat. Man kennt vielleicht die Filme von Kabel 1: „Die strengsten Eltern der Welt“ oder teilweise von RTL „Super-Nanny“ (2010, 2011), wo die Züchtungsprodukte einer heutzutage üblichen Laissez-Faire-Erziehung (nicht zu verwechseln mit antiautoritärer Erziehung) im einzelnen und konkret dargestellt werden. - Da kann man nur sagen: „Schrääääklich!“ Das Ergebnis sind regelrechte Parasiten. Und ich frage mich, ob das nicht tatsächlich eine 'passende' Entwicklung ist? - 'Parasitismus statt Kooperation' scheint die Devise der neoliberalen sozialen Realität (spätestens seit den 90er Jahren) zu sein. Sozusagen der geheime Lehrplan dieser Gesellschaft. Diese Jung-Parasiten passen wie Topf-und-Deckel auf die Konsumgesellschaft: Sie werden in jeder Hinsicht verwöhnt, brauchen ständig neue, teure Klamotten, müssen jeden Tag duschen (natürlich in einem richterlich vorschriftsmäßig mindestens 22° beheizten Raum; dürfen auch nachts duschen, wenn andere schlafen wollen, das gehört laut Richterspruch zu ihrer ‘Persönlichkeitsentfaltung’) kennen alle Trends der Mode und natürlich brauchen sie auch ein eigenes Auto und eine durchaus komfortable Wohnung. Das Ganze möglichst ohne eigene Leistung. Sie maßen sich alle möglichen Rechte ohne Pflichten an. Ihnen fehlt jegliche Empathie für die Mühsal des realen Lebens derjenigen, die die Werte schaffen – beispielsweise für ihre eigenen (sie verwöhnenden) Eltern.
Charakterisierung der negativen Narzißten als Prototypen des Parasitismus:
Ich unterscheide zwischen positivem und negativem Narzißmus.
Den positiven Narzißmus kennt man exemplarisch vom gut entwickelten glücklichen Kind, und er bedeutet Anmut, Freude am Leben und Liebesfähigkeit. Während die Eigenliebe des positiven Narzißten notwendigerweise die Interessen der sozialen und ökologischen Umwelt mitberücksichtigt, ist die Eigenliebe des negativen Narzißten abgekoppelt von den berechtigten Interessen der Umwelt.
Negativer Narzißmus bedeutet im Einzelnen:
1.Das Hauptproblem ist die Einseitigkeit: es wird einseitiges Geben von der gegenüberliegenden Seite erwartet und reines Nehmen ist die ausbeuterische Erwartungshaltung der eigenen Seite. Geben und Nehmen steht nicht in einem haltbaren Verhältnis – dafür hat der negative Narzißt kein Verständnis, dazu fehlt ihm der Sinn. Es soll keinen relevanten Austausch von Geben und Nehmen geben, das ist seine Sache nicht. Ein negativer Narzißt ist folglich prinzipiell vom Stamme 'Nimm'. Dazu gehört ein übertriebenes Anspruchsdenken und das Bedürfnis nach ausbeuterischen Beziehungen. Eigennutz geht ihm vor Gemeinwohl. Er weiß vermutlich überhaupt nicht, was 'Gemeinwohl' bedeuten könnte. Solche Leute sehen nur das eigene 'Recht' – Fairness und Rücksichtnahme sind für sie Fremdworte. Insofern hat jeder negative Narzißt auch eine mehr oder minder ausgeprägte psychopathische bzw. soziopathische Komponente.
2.Ein weiteres typisches Merkmal des negativen Narzißten ist sein mangelndes Mitgefühl, seine mangelnde Empathie und gefühlsmäßige Kälte gegenüber der anderen Seite (kurz: seine Gewissenslosigkeit). Neid (z.B. auf großzügige Menschen) spielt womöglich auch eine nicht unwesentliche Rolle. Daß solcherlei narzißtisch gestörte Menschen nachtragend sind, wird verschiedentlich als Charakterzug hervorgehoben: „sie verzeihen nie“. D.h. der anderen, widerständigen, Seite wird nicht vergeben, sie kann niemals im Recht sein. (Was zusammen paßt zu ihrer Unfähigkeit zu kritischer Selbstreflexion.)
3.Egoismus und Arroganz sind weitere Merkmale. Vermutlich auch eine besondere Empfindlichkeit gegenüber Kritik ihrer aufgeblähten Ansprüche und somit ihrer überaus hochgeschätzten Person. Anspruchsdenken bzgl. einer besonders bevorzugten Behandlung bzw. automatisches Eingehen auf ihre eigenen Erwartungen sind ihnen selbstverständlich. Was wiederum in paradoxem Verhältnis steht zu ihrer eigenen Unfähigkeit, die Erwartungen anderer angemessen zu berücksichtigen.
4.Sie sind, zumindest Anfangs, schwer zu durchschauen, man fällt leicht auf sie rein. Sie können sich gut verstellen, erscheinen geradezu kooperativ, freundlich und liebenswert, wenn sie eine für sie wichtige Akzeptanz ihrer Person erreichen wollen. Sie können also offenbar geschickt taktieren, wenn es ihr Interesse erfordert. Oft können sie auch noch eine gewisse Attraktivität (die sie besonders kultivieren) als Waffe für ihre einseitigen Interessen einsetzen.
5.Ihnen fehlt es an Realismus. Sie haben keine Verfügungsgewalt über ihre überzogenen Ansprüche und sehen nur den Widerstand der Anderen als das eigentliche Problem. Kritische Selbstreflexion ist ihnen fremd.
6.Es fehlt ihnen, warum auch immer, grundsätzlich an Menschenliebe. D.h. Konkret haben sie keinen Sinn für Nächstenliebe und Achtung anderer Menschen. Sie haben wenig echtes Interesse an anderen Menschen und bringen ihnen prinzipiell Geringschätzung und Arroganz entgegen - sofern es ihnen machtmäßig keine Probleme bereitet. Andererseits können sie Leute idealisieren, die ihren eigenen Machtwünschen und ihrem einseitigen Narzißmus auf die Sprünge helfen.
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In der Literatur taucht noch eine Extremform von Asozialität unter dem Namen Psychopathie, Soziopathie, moralischer Schwachsinn (moral insanity), antisoziale Persönlichkeitsstörung auf, von der immerhin jeder 25. in der westlichen Welt betroffen ist (lt. Martha Stout - siehe unten).
Vgl. dazu als weiterführende Literatur insbesondere:
Dr. Robert D. Hare: Gewissenlos. Die Psychopathen unter uns. Springer, Wien, New York, 2005. Ursprünglich 1993 New York. (Für einen Einblick in das Buch siehe hier).
Martha Stout: Der Soziopath von nebenan. Die Skrupellosen: ihre Lügen, Taktiken und Tricks. Springer, Wien, New York, 2006. (USA 2005). (Für einen Einblick in das Buch siehe hier und auch meine Rezension zu dem Buch).
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Das also sind die – offenbar zur Zeit immer häufiger werdenden - Produkte der gegenwärtigen neoliberalen Zivilisationsentwicklung. Diese negativen Narzissten finden sich als destruktive Kräfte in allen möglichen gesellschaftlichen Situationen. Sei es bei der verwöhnenden Erziehung in der Familie, sei es im Bekanntenkreis, wo sie sich arrogant verhalten, sei es im oben erwähnten deutschen Mietverhältnis oder sei es in der Schule als zunehmende üble Beleidigungen und Aggressionen gegen Lehrer und Mitschüler (gegen die es natürlich rechtsstaatlicherweise keine ausreichende Sanktionsgewalt gibt!). Sei es bei dem Scheitern von Ehen und damit einhergehender Ausbeutung des Ehemannes (natürlich rechtlich sanktioniert!). Sei es beim Burn-out-Syndrom in Institutionen, bei welchem ein engagierter, positiv eingestellter Mitarbeiter keine ausreichende Gegenmacht hat gegenüber unproduktiven Parasiten, die ihm naturgemäß übel wollen und sich gegen ihn (natürlich institutionsmäßig geschützt) durchsetzen können.
Überhaupt ist das Problem der Gegenmacht das entscheidende Problem. Ein Asozialstaat verweigert anständigen Menschen eine ausreichende Gegenmacht bzw. Sanktionsgewalt gegenüber Parasiten: Stattdessen werden Antisoziale unter dem Deckmantel von Sozial- bzw. Rechtsstaat weitgehend geschützt und gehätschelt. Diese können den sich dadurch als ‘sogenannt’ zu apostrophierenden Rechtsstaat geradezu für ihre Zwecke gegenüber anständigen Menschen einspannen. Deshalb kann man, meiner Ansicht nach, eigentlich schon von Asozialstaat reden, wenn man die gegenwärtige Situation der gesellschaftlichen Förderung des wuchernden Parasitismus betrachtet.
(Vgl. auch den Aufsatz von Götz Eisenberg in den “Nachdenkseiten” vom 04.06.13: Der Psychopath als Vorbild?)
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