Sprachverwendung als Charakter

19.05.10

 

 

Die Art der Sprachverwendung bestimmt, wer Du bist!

 

 

In unserer Gesellschaft stehen in der sozialen Kommunikation diverse Sprachmuster für die Interaktion zur Verfügung, in welche man wie in ein Kleid, wie in einen Anzug hineinschlüpfen kann. Meist hat man gar kein rechtes Bewußtsein darüber. Man macht es, weil man sich da hingezogen fühlt bzw. da hineingeboren wird. Entsprechend hat man auch meist gar kein rechtes Bewußtsein über die anderen Sprachmuster, die es noch gibt. Man sieht im Prinzip sein eigenes Sprachmuster als das Non-plus-ultra an.

 

Welche Sprachmuster gibt es bei uns?

 

Sprachliche Vorentscheidungen:

 

  • A. Da ist einmal der Dialekt. Er drückt die Vorstellungen von bestimmten traditionellen Volksgruppen aus. Da gibt es zum Beispiel Ausdrücke wie „Du Verrecker“, oder „Du Hegel“, um auszudrücken, daß jemand nicht genehm ist. Auch gibt es jede Menge sonstige differenzierte Bezeichnungen und Ausdrucksformen, die das sogenannte ‚Hochdeutsche’ nicht kennt. (Vgl. dazu die diversen Theater-Stücke von Wolfgang Deichsel: Moliere auf Hessisch).
  • B. Sodann gibt es als Kontrast-Programm dazu das „Hochdeutsche“. Das ist seit dem 16. Jhdt. eine Art eingeschränkte Kunstsprache mit dem Ziel, daß man möglichst konventionell und offiziös miteinander redet. Die Konventionalität soll als Korsett dienen, um Einpassung in die offizielle Gesellschaft und die Wertvorstellungen der Oberschicht zu signalisieren. Man darf beispielsweise gewisse („böse“) Worte nicht verwenden, z.B. das sogenannte umgangssprachliche „Scheiße“. Stattdessen darf man höchstens den Ausdruck „Kot“ verwenden. Wer also statt Scheiße Kot verwendet, ist ‚in’ und wer „Scheiße“ sagt, signalisiert damit, daß er ‚out’ ist. Die Behauptung, daß die Hochsprache die Funktion hätte, daß alle Deutschen, Deutsch-Schweizer und Österreicher sie verstehen können, was man von irgendeinem Dialekt meist nicht sagen kann, ist also nur teilweise richtig. Denn gleichzeitig gibt es eine weitere wichtige Funktion, indem noch eine offiziöse Sprachzensur mit transportiert wird.

Spezielle sprachliche Formen des Einfügens in das soziale Kräftefeld:

  • 1. Die Sprachmuster der Ideologie, wie ich sie in meiner (durchaus nicht vollständigen)  Tabelle dargelegt habe, drücken bei ihrer Verwendung aus, daß jemand dem autoritären Lager zuzurechnen ist. Solche Sprachmuster benutzt jemand, der nicht an Erkenntnis und Wahrheit und einem echten Konsens interessiert ist, sondern an Manipulation anderer Menschen für irgendwelche (eigenen) obskuren oder dogmatischen Interessen.
  • 2. Wenn jemand definitiv überhaupt nicht argumentieren kann, drückt das meiner Ansicht nach aus, daß er eine sozialisatorische Macke derart hat, daß er nicht fähig ist, dem anderen wirklich zuzuhören und auf ihn ernsthaft einzugehen. Ihm/ihr fehlt ein wesentliches Merkmal der Menschlichkeit, nämlich Empathie. Er/sie ist somit (trotz allerlei praktischer, technischer Fähigkeiten) in argumentativer Hinsicht ein Phantast mit irrelevanten, verschrobenen Ansichten. So jemand kann sich auch kaum ändern, da zur Änderung Selbstreflexion auf der Basis von (gekonnter) Argumentation gehört. Solche Leute sind prinzipiell Spielbälle von gesellschaftlichen Vorurteilen und jeweiligen Modetrends. Sie versuchen zwangsläufig, sich an ‚höhere’ Autoritäten anzulehnen, da sie selber unfähig sind, ihren eigenen Verstand zu gebrauchen. Sie bilden nach meiner Vermutung die Masse der Gesellschaft.
  • 3. Rhetorische Argumentation (ohne das Ziel der Wahrheitsgewinnung bzw. der Realitäts-haltigkeit) wird gerne benutzt, um problematischen Gegensätzen, die man nicht klären will, auszuweichen. Man will somit Friede-Freude-Eierkuchen in Politik und Gesellschaft, in Institutionen und im Privatleben herstellen. Sofern überhaupt argumentiert wird, ist dies die vorrangige Form der Argumentation, nämlich gemäß dem principle of preference for agreement:
  • <The raising of doubt is also contrary to the preference for agreement that predominates in ordinary exchanges.> (Van Eemeren/Grootendorst: A Systematic Theory of Argumentation. Cambridge 2004, S. 98)
  • 4. Ernsthafte und ehrliche, gekonnte Argumentation benutzt jemand, der sich der Humanität und/oder der kritischen Erkenntnis à la Sir Karl Popper verpflichtet fühlt.

Mehr an Unterscheidung kommunikativer Sprachverwendungen in unserer Gesellschaft fällt mir zur Zeit nicht ein, sofern sie sich am Angelpunkt ‘Argumentation’ orientiert. Je nach hauptsächlicher Art der kommunikativen Sprachverwendung hat man spezifische soziale Charaktere vor sich. Wobei beide Vorentscheidungen A. (Dialekt) und B. (Hochdeutsch) sich den speziellen Formen der Sprachverwendung 1. bis 4.  bedienen können.

Als Beispiel für die Unterschiedlichkeit der Charaktere aufgrund der kommunikativen Sprachverwendung im sozialen Kräftefeld möge die Gegenüberstellung zweier definitiv gegensätzlicher Sprach-Charaktere dienen: Zum Einen der ehemalige Vorstandsvorsitzende der KarstadtQuelle bzw. Arcandor AG, Thomas Middelhoff, und zum Anderen der Betriebsratsvorsitzende von Karstadt-Kaiserslautern, Hermann Heinrich. Der erstere ist ein Ideologe (siehe Punkt 1), der letztere ein kritisch argumentierender Arbeitnehmer-Vertreter (siehe Punkt 4). Vgl. dazu den Dokumentarfilm: Karstadt - Der große Schlussverkauf, Doku D 2010 (dieser YouTube Link verweist auf insgesamt 4 Teile von avi-Filmen).

 

Der Typus B der sprachlichen Vorentscheidung für das Hochdeutsche hat meines Ermessens logischerweise eine Tendenz zu Punkt 3 (Friede-Freude-Eierkuchen). Dies muß aber nicht unbedingt sein, sofern selbstkritische Gegenmaßnahmen in Bezug auf Punkt 4. (ehrliche und ernsthafte Argumentation) ergriffen werden.