Oswald Spengler

 

Oswald Spengler: „Der Untergang des Abendlandes“ (1918).

Ich lese gerade neu diesen großartigen Geschichtstheoretiker. Der ist meines Ermessens keineswegs ein Dummschwätzer, sondern hat ein ungeheures Wissen über Welt-Geschichte, das ihm erst mal jemand nachmachen muss.
Insofern halte ich seine analogische Analyse für berechtigt, wonach alle Hochkulturen irgendwann ihren Zenit überschreiten und sodann ins Alter und den schließlichen Untergang übergehen – eben auch die „abendländische Kultur“. Das Endstadium ist für Spengler interessanterweise der ‚Imperialismus‘. Deswegen ist  das römische Imperium  für ihn die Endphase der ‚Antike‘. Und der neuere europäische Imperialismus seit dem 19.Jhdt.  signalisiert ebenfalls eine ‚Endphase‘, die sich (üblicherweise) allerdings lange hinquälen kann.
Bei allem wirklichen Respekt, den mir Spengler abnötigt (er ist ja kein Schwadroneur -  wie so viele), gibt es doch eine entscheidende Schwachstelle in seiner Analyse, die seine Vorstellung vom ‚Untergang‘ möglicherweise zusammenbrechen lässt.
Er geht davon aus, dass auch Erkenntnisse historisch relativ sind. Und die abendländische Vorstellung von absoluten Erkenntnissen hält er (historisch gesehen) für eine spezielle abendländische Marotte, die zusammen mit diesem Abendland natürlich selbstverständlicherweise  einfach verschwinden wird. (Danach kommen ganz neue Hochkulturen – mit ungeahnten anderen Wirklichkeiten).
Er behauptet beispielsweise eine grundsätzlich unterschiedliche griechische (statische) Mathematik und Physik im Gegensatz zur abendländischen  dynamischen Differentialrechnungs-Mathematik (womit er sicherlich recht hat); was er jedoch nicht beachtet, dass die griechische (statische) Mathematik und archimedische statische Physik die Grundlage bildete für die viel spätere Weiterentwicklung im Abendland (z.B. durch Galilei und Newton) – Einen ausschließenden Gegensatz gab es keineswegs zwischen den beiden Arten von Mathematiken!
Und genau hier ist meiner Ansicht nach die Achillesferse von Spengler.
Es gibt nämlich meiner Ansicht nach tatsächlich die Erfindung (besser vielleicht: die Entdeckung) des absoluten Wissens im Abendland. Da ist vor allem die Mathematik und Physik und die darauf folgende Technik ein klares Indiz. Aber auch alles sozusagen ‚Periphere‘ bei den sonstigen ‚Wissenschaften‘ (Chemie, Biologie, Medizin, Wissenschaftstheorie, Soziologie, Psychologie, Pädagogik usw.).
Fakt ist, dass mittlerweile eigentlich die ganze Welt (also vielleicht 80%)  erfüllt ist von den Errungenschaften der modernen Technik, die auf der weitgehend ‚absoluten‘ Naturwissenschaft  beruht: Smartphones, Internet, Computer, Elektrizität, Autos, Flugzeuge, Fernsehen, Kühlschränke, CD-Spieler, Blue-Ray-Player, Medizingeräte, Tabletten, Energie-Technik, Haustechnik usw. usw.
So, wo hat hier der Untergang des Abendlandes seinen Platz? – OK. Die Amis spielen den Imperialismuspart des ‚Endstadiums‘. – Das ist die eine Tendenz. Aber die andere Tendenz ist die (teilweise) Weltgesellschaft der Physik und Technik – auch der Medizin und was noch nicht alles an Wissenschaft.
Kann man unter diesen Voraussetzungen noch vom ‚Untergang des Abendlandes‘ reden? Ok. Man schleppt einen kranken (aber wichtigen alten europäischen) Patienten mit sich rum, der meistenteils alles unterdrückt, was ihm helfen könnte.
Leider verweigert er sich in seinem Altersschwachsinn der innergesellschaftlichen Kommunikation, was nun wirklich in der Zukunft anliegen könnte, sondern lebt langsam verblödend, in den ökonomisch vorgegebenen und mit Rechtsvorschriften wie mit Altersmedizin stetig weiter vollgestopften Tag hinein!
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Unter dieser Voraussetzung einer sich neu etablierenden Weltgesellschaft des ‚absoluten‘ Wissens mitsamt der entsprechenden Technik,  ist meiner Ansicht nach die Idee des ‚Untergangs des Abendlandes‘ zumindest teilweise erledigt. Allerdings die Imperialismus-Geschichte (d.i. das Endstadium des Abendlandes), ist damit noch immer nicht erledigt! Das wird womöglich parallel ablaufen. Für den globalen ‚Imperialismus‘  sind heutzutage die USA zuständig. Man kann sich fragen (nach meiner Überlegung, orientiert an Spengler), wie die zwei Tendenzen miteinander klarkommen!
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Literatur:
 

Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Komplettausgabe, Kindle-Edition, 0,99€
 

Peter Scholl-Latour: Der Fluch der bösen Tat: Das Scheitern des Westens im Orient (2014), Kindle-Edition, 9,99€
 

Xuewu Gu: Die Große Mauer in den Köpfen. China, der Westen und die Suche nach Verständigung (2014), Kindle-Edition 12,99€